Eigentlich ein Kommentar auf Danielas Kommentar, nun ein Blogpost zur Frage: Ist nicht eigentlich das Schreiben das eigentlich schwierigere Problem, das des Lesens unlesbar vieler Texte ein damit nur verbundenes? Ein Eintrag zum Thema Lesen und Schreiben also. Mir scheint tatsächlich, dass es sich wie von Dir, Daniela, vermutet, um das gleiche Problem zu handeln, vor allem schon weil du schreibst (!): “Nicht schreiben zu können, weil man niemals alles lesen kann, was man lesen sollte, bevor man zu schreiben beginnt.” Das wirft bei mir eine Reihe von Fragen auf:

  1. Die These, das eigentlich Problematische sei das Schreiben, scheint mir performativ anspruchsvoll – du schreibst ja (wenngleich man natürlich von dem Versuch trotzdem zu schreiben ebenfalls auf die Unmöglichkeit kommen könnte; das trotzdem zählt. Wie auch beim Lesen.) Es müsste also zumindest medial beeinflusst sein (man schreibt leichter einen Kommentar auf einen Blogpost – ein Buch dagegen eher schwerer).

  2. Wer formuliert das Soll des Lesens, das erbracht werden muss vor dem Kann des Schreibens? Sind wir hier nicht schon verstrickt in das Problem des Lesens, eher als in das des Schreibens?

  3. Und m.E. am Wichtigsten: ist es nicht ein Schreiben, über das du hier schreibst, das ein Lesen ist, bzw. ein Lesen ermöglicht?

In diesen drei Fragen meine ich, könnte noch etwas mehr verborgen liegen – etwas, das noch nicht zugleich auch schon mit dem Problem der Konstruktion von “Neuheit in einer Situation […], in der strukturelles Misstrauen herrscht” zusammenhängt. Man müsste tatsächlich der Frage des Lesens und Schreibens vor dem Hintergrund des Zusammenhangs unter dem Vorzeichen der Unmöglichkeit nachgehen. Maren Lehmann hat neulich in unserem Lesekreis (“Spirituskreis”) an der Zeppelin Universität die Überlegung geteilt, dass sich ein Schreiben als ein Schreiben aus einem Kontext verschiedener Texte heraus gestalten lässt, eine Art Davidsbund. Das Schreiben wird so eine Erzeugung von Texten, die sich durch bestimmte andere Texte verstehen lassen. Das gilt natürlich grundsätzlich, wird jedoch etwas anderes, wenn es zur explizit impliziten und implizit expliziten Richtung des Schreibens wird; wenn man also nicht einfach schreibt, um von irgendeiner Leserin verstanden zu werden, sondern um von Autorinnen, noch besser: eben ihren Texten, verstanden werden zu können (!). Dann ist Schreiben eher Lesen, und zugleich das Problem der Unmöglichkeit alles zu Lesen gelöst – der eigene DAvidsbund ist notwendig begrenzt, ist aber kein Problem, denn das geht allen so und liegt in der Natur der Sache begründet: ein solches Netzwerk an Kon-Texten macht nur Sinn, wenn er sich von der Gesamtheit aller Texte unterscheidet.

Die Originalität eines Autors zeichnet sich dann nicht dadurch aus, dass er den Forschungsstand vollumfänglich erfasst (und in meist ermüdenden Zusammenfassungen, die mit seinem eigenen Text dann schon wieder obsolet werden, darstellt), sondern, dass der Kontext der mitlesenden Texte einen originellen Blickwinkel ermöglicht. Hier kommt sicher auch, wenn auch etwas verändert, das Problem der Neuheit ins Spiel: die Neuheit stellt sich so als eine Perspektive lesender Kon-Texte kombiniert mit dem Problem und Lösungsvorschlag des geschriebenen Textes dar – vor allem also als eine Aufgabe lesenden Schreibens oder schreibenden Lesens. Deshalb glaube ich, ist in der Tat das Problem so verknüpft, vielleicht sogar das selbe Problem.

Und dann wäre da noch Luhmanns Vorschlag im Umgang mit Problemen des ontologischen Status von sozialen Systemen: anzunehmen, sie gibt es; nicht zu unterstellen, dies sei nur eine Annahme, nur ein theoretisches Tool; um dann retrospektiv die Annehmbarkeit der Annahme an der Qualität ihrer Analyse zu beurteilen. Ich denke, dies liesse sich auch auf das Schreiben/Lesen Problem übertragen: Man muss einfach beginnen (ob durch ein lockeres Einschreiben oder, was ich vermutlich bevorzugen würde, durch das Pflegen eines Zettelkastens!) und zeigt dann schon, was dabei herauskommt. Dabei immer mitgedacht: Schreiben ist Lesen.

Und ein letzter Gedanke: zeugt nicht die Verzweiflung mit der unendlichen Fülle der Texte von einem gewissen Level der Lesebeschäftigung? Zu Beginn der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Texten genügt eigentlich einer, man ist recht schnell überzeugt und erst wenn viele weiter Texte hinzugekommen sind kommt man zu dem Schluss, dass die Beschreibung wohl nie so ganz zufriedenstellend geklärt werden konnte, dass man immer noch mehr lesen könnte, usw. Wer diese Erfahrung nicht mehr bestätigen kann, weil sie schon zu lange zurück liegt, oder so nie auftrat (weil man schon z.B. vor der Uni sehr viele ganz unterschiedliche Texte gelesen hatte, also nicht mehr unbefleckt wie mancher Student heute mit dem Lesen beginnen kann), könnte sich einfach mit der Fachliteratur einer anderen Disziplin beschäftigen.

Zusammengefasst: Wenn Schreiben zum Problem wird, dann doch nur, nimmt man an, dass es sich hier um das Schaffen von Neuheit handeln muss, eine Neuheit, die sich in expliziter Abgrenzung von allem Dagewesenen versteht. Nimmt man dagegen an, dass es sich beim Schreiben eher um ein Einordnen in ein Netzwerk mitlesender Texte handelt, scheint das Problem zwar weiterhin ungelöst, jedoch zumindest in eine andere Formulierung überführt. Schliesslich ist aber vor allem entscheidend Schreiben tatsächlich als ein Lesen zu verstehen! Systemtheoretisch liegt diese Vermutung nahe, ist es doch Kommunikation, die Anschlusskommunikation sucht und findet, ist es also immer nur die Kommunikation, die kommuniziert. Wendet man das zum Programm des Schreibens (und Lesens), so wird aus dem Schreiben Lesen, aus dem Lesen schreiben und aus dem Problem der Unendlichkeit des Geschriebenen (und zu Lesenden) die Entfaltung eines Prozesses des lesenden Schreibens und schreibenden Lesens.

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