(by Moritz Klenk)
Mit der Kompetenz ist das so eine Sache. Der Begriff taucht ja nun fast überall auf, verwendet wird er in immer weiteren, immer heterogenen Zusammenhängen – von Limitationalität kann schon kaum mehr die Rede sein; mit Uwe Pörksen könnte man Kompetenz vermutlich als ein Plastikwort** bezeichnen. Umso mehr lohnt eine neue Schärfung des Begriffs. Was meint man, wenn man von Kompetenz spricht?
Versuch einer Definition:
“Kompetenz ist die Anwendung (performative Dimension –> Handlung) der kognitiven Fähigkeit zur (Sinn-) Abstraktion.”
Weiter kann Kompetenz in ein zwei(-drei)-stufiges Modell differenziert werden:
————Basale Kompetenz ———
1) Erwarten —-> 2) Lernen/Normen ==>
———– “Höhere” Kompetenz————-
3) komplexere Formen von Kompetenz (Kompetenz-Kompetenz)
1) und 2) bilden die zwei Stufen der “basalen Kompetenz”; 3) ist die “höhere Kompetenz”, höher deshalb, nicht weil dabei eine Wertung (wie gut/besser) eine Rolle spielt, sondern weil sie höherwertig im Sinne von “auf 1) und 2) aufbauend”/ “1& 2 beeinhaltend” ist.
Zu 1): Erwarten ist der grundlegendste Bestandteil von Kompetenz: es ist eine kognitive (Kognition = “verstehen”/”erkennen”; kann bewusst als auch unbewusst sein) Fähigkeit Wissen auf anderes zu Übertragen (Abstraktion) und dann zu erwarten (dass es eintritt).
Zu 2): Lernen spezifiziert 1) näher dahingehend, das Lernen ein spezifisches Erwarten ist, nämlich die Fähigkeit Erwartungen im Enttäuschungsfall zu revidieren. Man erwartet a) aber b) tritt ein, wodurch man sich gezwungen sieht seine Erwartung A dass a eintritt zu revidieren, zu überdenken und eine neue Erwartung (z.B. A’ oder B) zu formulieren. Ich erwarte, dass wenn Mama sagt, wenn ich mein Zimmer aufräume bekomme ich ein Eis, bedeutet das, dass immer wenn ich mein Zimmer aufräume ich ein Eis bekomme. Dann räume ich mein Zimmer auf, sag das Mama sie aber gibt mir kein Eis. Ich überdenke meine Erwartung und sage dann: Vermutlich bekomme ich nur ein Eis wenn ich 1. mein Zimmer aufräume und vor allem nur dann wenn 2. meine Mama vorher gesagt hat ich bekäme dafür ein Eis.
Normen spezifizieren 1) dahingehend, dass sie genau das Gegenteil von Lernen sind, also die Fähigkeit Erwartungen aufrecht zu erhalten, auch wenn sie enttäuscht werden, sozusagen “kontrafaktisch stabilisiert” aufrecht zu erhalten.*** Ich erkenne etwas als Norm, bzw. ich erzeuge eine Norm, wenn ich meine Erwartungshaltung (ich bekomme ein Eis) auch aufrecht erhalte wenn sie enttäuscht wird: “Die Mama muss mir ein Eis geben. Sie hat bestimmt einen Fehler gemacht. Oder sie hat gar nicht richtig hingeguckt dass ich mein Zimmer so toll aufgeräumt hab. Ich frag sie einfach noch mal und dann bekomme ich ein Eis.
Zu 3): komplexere Formen von Kompetenz (von Erwartungs-Kompetenz und Lern/Norm-Kompetenz aus entwickelt) sind all solche Fähigkeiten, die Erwartungen und Lernen/Normen so kombinieren, dass sie auf bestimmte Felder übertragbar sind und dann als Handlungsrichtlinie, besser als Handlungsprogramme angewandt werden können. Ich sehe zu wie mein Chef sich mit seinen Untergebenen sozialisiert und erkenne darin eine Strategie (Handlungsempfehlung) die besondere Wirkung entfalten kann (Loyalität, Gehorsam, etc.). Ich übertrage das auf die Situation in meinem Umweltschutzverein, in dem ich der Vorsitzende bin und kann so dort auftretende Probleme die Führungsaufgaben betreffend “besser” lösen. Ich bin in der Lage die Strategien auf die Situation des Vereins zu übertragen und ggf. (im Enttäuschungsfall) anzupassen oder zu erkennen, wann sie nicht angepasst werden müsen, sondern besser aufrecht erhalten werden sollten (weil auf lange Sicht gesehen angenommen werden kann, dass dadurch bessere Erfolge erzielt werden können). Auch nicht an meinem Chef beobachtete Situationen kann ich mit dieser Fähigkeit flexibel bewältigen (flexibel durch die Trias aus Abstraktion, Lernen und Normen!).
Die so gewonnene Kompetenz hat jedoch noch eine weitere Eigenschaft: sie wirkt zurück auf die Kompetenz-Kompetenz (Kompetenz zweiter Ordnung). D.h. sie wird reflexiv insofern, als dass sie meine Erwartungen sowie mein Lernverhalten beeinflusst. Ich lerne zwischen Situationen, Strategien, Verhalten und Erwartungen zu differenzieren und dadurch differenzieren sich auch meine Kompetenzen (z.B. hier Führungskompetenz). Ich analysiere Situationen/Verhalten/Erwartungen auf diese Trias hin und finde immer mehr Sub-typen und Unterscheidungen, die mir helfen meine Kompetenzen weiter auszubauen aber auch in Zukunft neue Kompetenzen schon von vornherein komplexer anzulegen (zu erwarten). Wenn ich mir eine neue Kompetenz zulegen möchte (oder beobachte, dass ich im Begriff bin eine neue Kompetenz auszubilden) weiß ich jetzt, und lasse das rückwirken auf mein Verhalten und meine Erwartungen, dass Kompetenzen komplexer und differenzierter werden können.
Ein weiterer Aspekt der Kompetenz-Kompetenz ist, dass man auch bei anderen nicht nur Fähigkeiten, sondern Kompetenzen beobachtet. Man erkennt nun also auch Muster “hinter” den Strategien oder dem konkreten Verhalten der anderen und kann so noch weiter abstrahieren. Das ist dann eindeutig auf der Ebene angesiedelt die Luhmann (im Anschluss an Parsons) “doppelte Kontingenz” nennt. Also eine Beobachtungsperspektive (hier auf Kompetenzen bezogen) bei der man sich selbst als Ego den anderen als Alter sowie als alter-Ego und durch Abstraktion sich auch selbst wieder als Alter (von der Perspektive von Alter-Ego aus gedacht) beobachten kann. In all den Perspektiven kann man nun Kompetenzen beobachten, wo man vorher nur Verhalten oder maximal noch Strategien hat beobachten können.
Dieser Begriff der Kompetenz ist so allgemein und zugleich so genau, dass er dem Problem der Inhaltslosigkeit durch zu hohe Verwendungsheterogenität begegnen kann. Vor allem aber ist dieser Begriff sowohl für psychische als auch für soziale Systeme verwendbar. Ob und inwiefern sich damit neue Beschreibungen von Gesellschaft ermöglichen lassen, muss sich nicht zuletzt in empirischen Untersuchungen zeigen lassen.
*Den Titel habe ich mir von Lutz Niethammer geliehen, der wiederum den Begriff von Uwe Pörksen bezieht. Vgl.: Niethammer, Lutz and Dossmann, Axel. 2000. Kollektive Identität: Heimlich Quellen einer unheimlichen Konjunktur.Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. S. 33-35 sowie:
**Pörksen, Uwe. 2004. Plastikwörter: Die Sprache einer internationalen Diktatur. 6. Aufl, in der Ausstattung veränd. [Stuttgart]: Klett-Cotta.
*** Für diesen Normbegriff siehe: Luhmann, Niklas. 2008. Normen in soziologischer Perspektive. In Die Moral der Gesellschaft, ed. Detlef Horster, 1st ed. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1871. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 25–55.